Menschen mit Bulimie, meist sind Frauen betroffen, sind wahre Meisterinnen darin, ihr Problem vor anderen zu verbergen. Man sieht es den Betroffenen nicht an, da sie in der Regel Normalgewicht haben. Und keine stopft sich vor anderen gnadenlos voll und sagt dann „ich geh mal kurz kotzen, bin gleich wieder da.“

Man könnte es eventuell erkennen, wenn man die Betroffene direkt nach dem Brechen sieht, weil durch das Rauspressen der Unmengen an Essen die Ohrspeicheldrüsen anschwellen, was aussieht, als hätte man Hamsterbäckchen (unter den Ohren). Dazu muss man in der Nähe sein und wissen, auf was achten. Passiert so gut wie nie, vor allem, wenn man keinen Verdacht hat.

Scham spielt eine zentrale Rolle, die Bulimie zu verheimlichen. Oftmals sind es meiner Praxiserfahrung nach Powerfrauen, Perfektionistinnen und Macherinnen, die diese Essstörung haben. Für sie ist es unendlich schwerer, so etwas zuzugeben als für andere Persönlichkeiten. Das ist wie eine riesengrosse Blockade, die verhindert, sich jemandem anzuvertrauen.

Eine meiner Klientinnen war verzweifelt, weil sie ihre neue Beziehung aufs Spiel setze: Abends, wenn sie merkte, dass eine Essattacke kam, schickte sie ihren Freund ganz schnell unter einem Vorwand heim oder wenn sie bei ihm war, haute sie schnell ab. Er dachte mit der Zeit, sie wolle ihn verarschen, dennoch brachte sie es nicht fertig, ihm die Wahrheit zu sagen.

Andere haben sich geoutet und lügen ihr Umfeld mit der Zeit an und behaupten, sie hätten keine Bulimie mehr, weil sie sich schämen, dass sie sie nicht loswerden 😔

Ich wohnte vor vielen Jahren mit einem Mann zusammen, der nicht mitbekommen hatte, dass ich täglich Fress-Kotzattacken hatte. Nicht weil er ein gefühlloser Klotz war, sondern ich besonders gut im heimlich machen. Nicht mal mein engstes Umfeld hat es mitbekommen, was 20 lange Jahre mit mir los war. 

Die Tatsache, dass viele Partner, Eltern und allgemein das Umfeld in keinster Weise nachvollziehen können, wie es den Betroffenen geht und oftmal mit der Zeit kein Verständnis mehr aufbringen, verschärft die Lage sehr. Da kommen dann schnell mal Sprüche wie „reiss dich doch endlich mal zusammen“ oder „stell dich nicht so an“ oder „dann friss einfach nicht so viel“. 

Auch wenn heute viel mehr über Esstörungen aufgeklärt wird als damals, als es bei mir losging, ist es nach wie vor ein Tabuthema. Betroffene werden oftmals als willensschwach, unfähig oder anderweitig abgewertet. So ergeht es vielen Menschen mit den sogenannten unsichtbaren Krankheiten.